Diskussion

Sucht oder nicht Sucht

Fragt man die Krankenkassen nach einer Therapie für Computerspielsüchtige, ist die Lage eindeutig: Es gibt keine Computerspielsucht und entsprechend keine Kostenübernahme. Therapieeinrichtungen gibt es trotzdem und auch jetzt schon Wege, einen Therapieplatz zu bekommen – auch mit entsprechender Finanzierung.

Nach den internationalen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV ist "pathologisches Computerspielen" nicht erfasst. Somit sind die Krankenkassen nicht in der Pflicht, die Kosten für eine Computerspielsucht-Therapie zu übernehmen.

Als Reha-Maßnahmen werden entsprechende Therapien allerdings durch die deutsche Rentenversicherung ermöglicht. Der Hintergrund ist plausibel: Wenn jemand wegen exzessiven Medienkonsums nicht mehr in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, belastet diese Person die Sozialkassen. Unabhängig von einer medizinischen Definition wird therapiert, und das nicht selten mit Erfolg. Da schulpflichtige Jugendliche aber in der Regel noch nicht in die Sozialkassen eingezahlt haben, gibt es seitens der Rentenversicherung keine Zuständigkeit.

Trotzdem haben Suchtberater wie Dennis Beike von der Suchtberatung des Diakonischen Werkes in Stadthagen durchaus Möglichkeiten Klienten in eine Therapie zu vermitteln. Der Weg gestaltet sich allerdings wesentlich schwieriger als bei anderen Abhängigkeiten wie bspw. von Cannabis. „Entscheidend ist, ob Komorbiditäten feststellbar sind. Begleiterscheinungen oder Erkrankungen wie Depressionen oder soziale Phobien werden auch von den Krankenkassen behandelt“, erklärt er das Verfahren. Auch körperliche Probleme wie Über- oder Untergewicht, Haltungsschäden, sowie Rückbildungen der Muskulatur können eine Rolle spielen. Demnach wird die Computerspielsucht nicht als Ursache verstanden, die es zu therapieren gilt, sondern vielmehr als ein Symptom. „Viele Betroffene setzen Computerspiele als eine Art der Selbstmedikation ein“, erklärt Beike, „Computerspiele helfen in diesem Moment gegen Langeweile, empfundene Perspektivlosigkeit, Über- oder Unterforderung, soziale Ängste, Ausgrenzung und andere negative Gefühle.“ In vielen Fällen ist die Aufgabe des Suchtberaters, den Betroffenen zu motivieren sich zusätzlich von einem Arzt bspw. auf Depressionen untersuchen zu lassen. Um die Computerspielsucht zu besiegen, muss z.B. die Depression therapeutisch behandelt werden – und im Ergebnis somit auch die Computerspielsucht.

Unterscheidet sich die Computerspielsucht hier tatsächlich von einer Cannabisabhängigkeit? Rechtfertigt das einen Ausschluss aus dem ICD 10 als eigenständige Diagnosemöglichkeit? Aus Sicht von Beike nicht. Auch für andere Süchte ohne primäre körperliche Abhängigkeit spielen genau die gleichen Aspekte eine wichtige Rolle. Hier wird in der Therapie ebenfalls nach den Ursachen außerhalb der Sucht gesucht – oftmals stehen hinter einer Cannabissucht ebenfalls Depressionen oder soziale Ängste, die dann therapeutisch behandelt werden. „Suchtverhalten ist häufig ein Symptom einer seelischen Erkrankung“, so Beike. Dabei ist natürlich auch diese Selbsterkenntnis und Krankheitseinsicht ein Teil der der Therapie. Nicht selten ändern nach Beike Betroffene ihr Verhalten nach wenigen Beratungskontakten, so dass eine aufwändige stationäre Therapie nicht immer notwendig ist.

Eine gute Anlaufstelle für Eltern kann der Sozialpsychiatrische Dienst der jeweiligen Kommunen sein. Hier werden laut Stefan Pohl von der „Sozialpsychiatrischen Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche und deren Familien“ des sozialpsychiatrischen Dienstes Hannover (SpDi) beratungssuchende Eltern oder betroffene Jugendliche selbst an entsprechende Beratungsstellen vermittelt - in Hannover bspw. an die DROBS oder das Neue Land. Sogar Hausbesuche des SpDi, so Pohl, sind möglich. Diese finden allerdings seltener auf Wunsch verzweifelter Eltern, sondern eher auf Initiative der Schulen statt, wenn Jugendliche (ggf. als Computerspieler) massiv die Schule verweigern.


Es stellt sich die Frage, ob dann eine Einstufung in den ICD 10 überhaupt nötig ist? Können über entsprechende Doppeldiagnosen nicht viel präzisere Therapiemöglichkeiten gefunden werden? „Wäre Computerspielsucht im ICD 10 aufgeführt, wäre es einfacher, den Betroffenen ein Therapieangebot zu vermitteln“, beschreibt Beike die jetzige Situation. Problematisch wäre es, wenn ein Teil von Jugendverhalten generell „pathologisiert“ werden würde. „Nur weil viele Erwachsenen Computerspiele nicht verstehen oder wertschätzen, darf nicht pauschal eine zeitweilige intensivere Spielenutzung als krankhaft erklärt werden“, betont er.

Augenmaß, Sachverstand und vor allem plausible Kriterien für eine Computerspielsucht sind nötig. Mit einer entsprechenden Einstufung wäre es vor allem einfacher, wichtige Therapien zu ermöglichen. „Langfristig ist eine Einstufung im ICD 10 wünschenswert“, so Beike. Nach Einschätzung des SpDi Hannover ist dies „auch nur noch eine Frage der Zeit.“

Dieser Beitrag wurde am 29.01.2011 verfasst.
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