Medienkompetenz
Mutproben auf Bahngleisen: wenn Selfies lügen…
Sich an möglichst riskanten Orten in gefährlichen Situationen zu fotografieren, ist seit Längerem ein Thema bei vielen Jugendlichen. Doch nicht jedes Bild, das gefährlich aussieht, ist auch bei der Erstellung gefährlich gewesen - motiviert aber eventuell zum Nachmachen. „Selfies faken“ gehört in den Schulunterricht!

In unseren Klassenworkshops wird regelmäßig davon erzählt, in welchen absurden Situationen sich manche Jugendliche per Selfie beweisen müssen. Ein knapp vorbeifahrender ICE im Hintergrund oder bedrohlich nah an einer Klippe – je größer das Risiko, desto größer die vermeintliche Mutprobe. Vor allem Bahngleise als Motiv spielen immer häufiger eine Rolle. Regelmäßig muss die Polizei eingreifen und Jugendliche vom Bahndamm holen. Doch nicht jedes Bild ist bei der Aufnahme so gefährlich gewesen wie es wirkt.
So gibt es Apps, die auf einfachste Art und Weise riskante Selfie erstellen, ohne dass sich die abgebildete Person in Gefahr begibt. Bei der Aufnahme werden jeweils einfach die Frontkamera und die Hauptkamera kombiniert. Die Person steht somit 180° gegenüber des vorbeirasenden Zuges. Die App fotografiert den Zug und die mit Abstand zum Zug stehende Person gleichzeitig und kombiniert beide Bilder so, dass der Eindruck entsteht, nur wenige Zentimeter lägen zwischen Person und Zug. Außerdem ist es mit einigen Apps ohne weiteres möglich, beliebige Bilder als Hintergrund hinter ein Foto des eigenen Gesichts zu montieren. Wer mit Bildbearbeitungsprogrammen umgehen kann, kann ohnehin jede spektakuläre Fotomontagen erstellen – ohne den Schreibtisch zu verlassen.
„Ist das echt, was ich sehe?“
Dennoch kann das, was erst einmal völlig ungefährlich wirkt, riskante Folgen nach sich ziehen. Denn wenn jemand nichts von gefälschten Selfies weiß, fühlt er sich im schlimmsten Fall motiviert, die Mutprobe nachzumachen – und steht am Ende mit seinem Smartphone vor dem heranrasenden ICE. Und das nur, um etwas nachzueifern, was gar nicht stattgefunden hat.
Medienkompetenz bedeutet auch, mediale Inhalte zu hinterfragen. „Ist das echt, was ich sehe?“ muss eine grundsätzliche Frage sein, die unmittelbar bei jedem noch so realistisch wirkenden Bild gestellt werden muss. Nie war es so einfach, Fotos zu manipulieren wie heute. In Klassenworkshops erleben wir allerdings auch noch in achten Klassen, dass nicht alle über entsprechendes Wissen verfügen. Im Zweifelsfall wird eher geglaubt als gezweifelt.
Bildbearbeitung und –manipulation gehört in die Grundschule
Dabei kann es so einfach sein: wer einmal erlebt hat, dass auch jemand ohne großes technisches Können Bilder lügen lassen kann, wird genau aus diesem Grunde bei fragwürdigen Bilder skeptisch reagieren. Dies kann idealerweise schon in der Grundschule, spätestens aber in der fünften Klasse praktisch ausprobiert werden. Dieses Thema passt sowohl in das Fach Kunst oder im Sinne von Quellenkritik auch in Deutsch. Viele dazu geeignete Apps sind kostenlos und erstaunlich simpel in der Bedienung. Große Vorerfahrungen oder technische Kompetenzen sind entsprechend auch bei der Lehrkraft nicht erforderlich.
„Du weißt nie, wie dumm andere sind!“
Allerdings kann dieses Wissen den gefährlichen Trend beschleunigen, wenn entsprechendes Wissen eingesetzt wird, um noch mehr scheinbar gefährliche Selfies zu fälschen – mit dem Risiko, dass noch mehr unwissende Kinder und Jugendliche zum „Nachmachen“ motiviert werden. Deshalb darf hier die Verantwortung, die jemand bei der Verbreitung von Bildern hat, nicht außen vor gelassen werden. Medienkompetenz und Sozialkompetenz liegen auch hier wie so oft nah bei einander.
Ein Schüler erklärte einmal in einem unserer Workshops, wie einfach es ist Köpfe mit Photoshop aus Fotos auszuschneiden und in pornografische Fotos zu retuschieren. Eine Mitschülerin war regelrecht entsetzt: „Wenn du das kannst, kannst du ja alle Leute richtig blamieren“, „Klar“, entgegnete der Mitschüler, „aber warum sollte ich das machen?“ Das Wissen über Bildmanipulation ist bei diesem verantwortungsvollen Jungen gut aufgehoben. Oder mit den Worten einer Sechstklässlerin: „Das ist total einfach mit einem Fake-Selfie. Ich kann das auch. Trotzdem würde ich keine Selfies vor Zügen faken. Nachher glaub es jemand und will es nachmachen. Du weißt nie, wie dumm andere sind!“
Geestland : Kinder im Grundschulalter online, vernetzt und überfordert?
06.12.2023
Isernhagen: Kinder im Grundschulalter online, vernetzt und überfordert?
mehr unter Kontakt

Hier geht es zu unserem Podcast
Dein Kind, das unbekannt Wesen?
Der Harz-Kurier berichtet ausführlich über eine Abendveranstaltung mit Moritz Becker von smiley e.V. im TRG Osterode ...
Hannoversche Allgemeine Zeitung (14.10.2023)
Experte zu Kinderpornos auf dem Handy: „Gesetz bringt Eltern und Lehrkräfte in eine unglaubliche Situation“
In einem ausführlichen Interview äußert sich Moritz Becker von smiley e.V. zur aktuellen Gesetzeslage im Hinblick auf die.V.rbreitung von Kinderpornografie. Hintergrund ist Gerichtsurteil, bei dem eine Mutter verurteilt wurde, weil sie kinderpornografisches Material, das ihrer Tochter zugeschickt wurde, an betroffene andere Eltern und Lehrkräfte weiterleitete ...