Podcast
Das Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige in Australien - Skript
Moritz Becker und Ralf Willius diskutieren das Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige in Australien und überlegen, inwieweit auch Deutschland oder Europa davon profitieren können. Dabei wird deutlich, dass es um wesentlich mehr als nur um die Hoffnung auf einen effektiven Jugendschutz geht. Eingangs stellt Tobias Windbrake vom Verein „Smarter Start ab 14 e.V.“ die Chancen einer entsprechenden Regelung auch in Deutschland dar.
Ralf: Wir sehen auf den Bildschirmen unserer Kinder Symptome einer riesigen Problemlage, die mehr mit Entwicklungsaufgaben als mit Medienkonsum zu tun haben.
Intro
Ralf: Passend zur Jahreszeit sitzen wir im Kerzenschein in der Küche von meinem Kollegen Moritz Becker.
Moritz: Hallo!
Ralf: Und begrüßen zu einer neuen Folge was mit Medienerziehung, dem Podcast von smiley e.V.. Mein Name ist Ralf Willius und der Verein smiley e.V. besucht Schulklassen, wo wir dann mit Kindern und Jugendlichen über einen sinnvollen Umgang mit Social Media diskutieren. Darüber hinaus bieten wir Fortbildungen und Vorträge für Eltern und Fachkräfte an, wo wir dann über Medienerziehung diskutieren. In diesem Podcast reden wir über all das, was uns so im Alltag auffällt. Und heute ist Medienerziehungs-Montag, der 16. Dezember 2024. Zu Beginn die routinierte Frage,w ie jedes Mal: gibt es Rückmeldungen zur letzten Folge.
Moritz: Es gab eine Korrektur. Es muss natürlich Werwölfe vom Düsterwald heißen und nicht einfach nur Werwolfspiel, wie ich das in der letzten Folge gesagt habe.
Ralf: Für alle, die die Folge nicht gehört haben...
Moritz: Noch nicht gehört haben.
Ralf: Entschuldigung für alle, die die Folge noch nicht gehört haben. Wir haben eine gruselige Playlist auf Spotify zur Begleitung des Spiels Werwölfe von Düsterwald empfohlen. Übrigens haben wir festgestellt, diese Playlist gibt es natürlich auch bei vergleichbaren Anbietern wie Deezer oder Amazon zum Beispiel. Und die werden wir auf jeden Fall, das haben wir vergessen, auch noch mal verlinken unter in den Shownotes sozusagen.
Moritz: Wir wollen uns heute mit dem Verbot von Social Media für unter 16-jährige in Australien beschäftigen und dabei vor allem überlegen, inwieweit dieses Gesetz auch Vorbild für Deutschland sein kann.
Ralf: Mich würde interessieren, inwieweit so ein Verbot überhaupt durchsetzbar ist. Und da bin ich total gespannt auf deine Meinung, weil ich dich bisher eigentlich immer eher so erlebe, dass du eher gegen Verbote dich ausspricht, sage ich mal .
Moritz: Ja, aus meiner Überzeugung als Pädagoge war ich immer derjenige, der gesagt hat, wir müssen Menschen befähigen, mit Risiken umzugehen und habe mich immer so ein bisschen dafür oder davor gesträubt zu sagen, wir verbieten die Risiken. Und ich bin nie auf die Idee gekommen, dass man tatsächlich Social Media in dieser Form wirklich verbieten kann. Und Australien hat es jetzt vorgemacht und von daher bin ich wirklich gespannt und habe viele Argumente sowohl für als auch gegen eine gesetzliche Regelung gefunden.
Ralf: Vielleicht finden wir auch noch Zeit, darüber nachzudenken, ob wir das überhaupt für sinnvoll erachten, das umzusetzen.
Moritz: Wobei ich den Schwerpunkt wirklich eher bei den anderen genannten Punkten sehen würde.
Ralf: Okay, aber vielleicht erstmal eine Situationsbeschreibung. Also die australische Regierung hat beschlossen, dass unter 16-jährige Social Media nicht mehr nutzen dürfen. Dabei ist vor allem finde ich interessant, dass die Anbieter von Social Media Plattformen dafür verantwortlich sind, dass die das dann nicht mehr nutzen können.
Moritz: Ja, und da ist von sehr hohen Strafen die Rede.
Ralf: Bis zu 50 Millionen australischer Dollar, das entspricht ungefähr 30,5 Millionen €. Das ist viel.
Moritz: Du bist richtig gut vorbereitet.
Ralf: Natürlich.
Moritz: Also zumindest hat es in der Deutlichkeit noch nirgendwo auf der Welt ein Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet gegeben. Und viele Eltern wünschen sich ein ähnliches Verbot. Einige US-Bundesstaaten, wie zum Beispiel Florida haben ähnliche Gesetze auch schon verabschiedet.
Ralf: Ja und ich würde sagen auch hier bei uns, es ist ein Riesenthema. Zumindest war es das auch in Elternabenden, die ich gemacht habe.
Moritz: Also in Deutschland gibt es eine Menge Bestrebungen von Eltern und Initiativen, dass Kinder später als in vielen Familien derzeit üblich, Social Media und Smartphones nutzen. Dazu hat sich zum Beispiel der 2019 in Hamburg gegründete gemeinnützige Verein Smarter Start zum Ziel gesetzt, hier Eltern zu vernetzen, die eine Nutzung von Social Media ab 14 bevorzugen. Und ich habe Tobias Windbrake, der Mitglied des Vorstands von Smarter Start ist, im Rahmen einer Veranstaltung in einer Grundschule bei Hamburg vor einigen Monaten kennengelernt. Und zur Vorbereitung dieser Sendung habe ich ihn gefragt, welche Chancen er darin sieht, wenn Jugendliche erst mit 14 im Bereich Social Media starten.
Tobias Windbrake: Sobald ein Kind ein eigenes Smartphone hat, ist das Risiko einer übermäßigen Nutzung ziemlich groß. Das liegt daran, dass insbesondere der sogenannte digitale Zucker konsumiert wird. Social Media, Online Games und Video Streaming, also attraktive Angebote, die bewusst so gestaltet sind, dass sie die Kinder fesseln und teilweise sogar abhängig machen. Aus der Studie von DRK und UKE weiß man, dass bereits jedes vierte Kind in Deutschland suchtgefährdet ist. 6 % der Kinder sind mediensüchtig. Die Auswirkungen sollten uns alle beunruhigen. Zwei aktuelle Zahlen einer Krankenkasse: Der Anteil von Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 mit motorischen Störungen ist in den letzten zehn Jahren um 77 % gestiegen. Der Anteil der Jugendlichen mit Sprach und Sprechstörungen hat sich mehr als verdoppelt. Neben den Auswirkungen der übermäßigen Nutzung sind auch traumatisierende Inhalte und Cyberkriminalität wie Grooming und Sextortion schon ein großes Problem. Als Gesellschaft sollten wir ein vernünftiges Mindestalter festlegen, damit unsere Kinder überhaupt eine Chance haben, sich gesund zu entwickeln. Genau wie wir es auch bei anderen, potenziell süchtig machenden Dingen getan haben, wie Alkohol, Zigaretten, Cannabis und Glücksspiel. Wenn wir das alleine den Eltern überlassen, nehmen wir in Kauf, dass all die Kinder, bei denen sich die Eltern nicht kümmern, aus welchem Grund auch immer, großen Risiken ausgesetzt sind. Natürlich brauchen Eltern und Kinder parallel auch dringend mehr Medienkompetenz. Ideal wäre ein verpflichtendes Schulfach für alle Kinder. Aber diesen Wunsch gibt es seit Jahrzehnten und eine Umsetzung ist in Deutschland jedenfalls nicht in Sicht, insbesondere im Hinblick auf den Bildungsföderalismus. Das oft wiederholte Begleiten statt Verbieten klingt zwar sehr sympathisch, ist in letzter Konsequenz aber gefährlich für die Gesundheit unserer Kinder. Als Elterninitiative Smarter Start ab 14 haben wir bereits 2019 für uns entschieden, dass wir für unsere Kinder das eigene Smartphone noch hinauszögern möchten. Wenn man das gemeinsam mit anderen Familien macht, zum Beispiel innerhalb der Klasse, Stufe oder sogar der gesamten Schule, wird auch kein Kind zum Außenseiter. Natürlich heißt das nicht, dass die Kids analog aufwachsen. Sie haben in aller Regel Zugriff auf ein Familientablet oder Laptop oder das Gerät der Eltern. Aber die Nutzung sollte bewusst und im Beisein der Eltern erfolgen. Mittlerweile haben sich Tausende von Eltern in der DACH-Region unserer Community angeschlossen. Die 14 ist dabei keine dogmatische Grenze, sondern eine Empfehlung, die sich an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Wenn Eltern es bis zum zwölften oder 13. Lebensjahr durchhalten, ist das für die Kinder immer noch ein großer Gewinn im Vergleich zur aktuellen Norm.
Moritz: Außerdem habe ich ihn gefragt, ob er die beschlossene Gesetzeslage in Australien auch für Deutschland für realistisch hält.
Tobias Windbrake: Ja, was viele nicht wissen: In Deutschland gibt es bereits seit mehreren Jahren ein gesetzliches Mindestalter von 16 Jahren für die Nutzung von Social Media Plattformen. Dies ist in der DSGVO, also der Datenschutzgrundverordnung, definiert. Nur mit expliziter Einwilligung der Eltern können Kinder und Jugendliche bereits vor dem 16. Lebensjahr die Plattform nutzen. Allerdings gibt es dort aktuell keine funktionierende Altersverifikation und auch die genannte Einwilligung der Eltern wird nicht überprüft. Das ist bisher für die Plattformen folgenlos geblieben. Australien fordert nun, dass die Plattformen eben diese funktionierende Altersverifikation umsetzen und droht auch mit finanziellen Strafen, falls das nicht passiert. Ein weiterer Unterschied ist, dass in Australien auch die Eltern diese Altersgrenze nicht durch eine Einwilligung werden aufheben können. So zumindest der Plan. Unsere Meinung ist, dass eine multidisziplinäre Expertenkommission entscheiden sollte, was das richtige Einstiegsalter für das Smartphone an sich und die verschiedenen Plattformtypen ist. Und wenn man ein solches Mindestalter definiert hat, muss es logischerweise auch umgesetzt werden, sonst kann man sich den Aufwand sparen. Eine solche Expertenkommission kam Anfang diesen Jahres in Frankreich zu dem Ergebnis, dass kommerzielle Social Media Plattformen wie Facebook und Snapchat nur für Erwachsene zu greifbar sein sollten. Die spanische Kommission hat ein Mindestalter von 16 Jahren empfohlen, da die Plattform und deren Effekte auf die Kinder und Jugendlichen weltweit praktisch gleich sind, glaube ich das auch eine deutsche Kommission zu ähnlichen Ergebnissen kommen würde. Die Frage ist nur, ob und wann das passiert. Meinen Kindern jedenfalls wird das nicht mehr helfen. Darum engagiere ich mich bei Smarter Start und darum sind wir Eltern auch in der Zwischenzeit gefordert, uns um dieses wichtige Thema zu kümmern.
Moritz: Vielen Dank an dieser Stelle an Tobias für seine Einschätzung und dass er sich Zeit für uns genommen hat.
Ralf: Ja, von meiner Seite auch.
Moritz: Was ich sehr deutlich empfunden habe, ist, dass Tobias sich stellvertretend für viele andere Eltern eigentlich eine Entlastung erhofft, wenn nicht die Eltern regulieren müssen, sondern dass es der Staat übernimmt, dass sich also nicht als Eltern immer so Buhmann bin, wenn ich meinen Kindern verbieten muss, Social Media zu nutzen, sondern das einfach klar ist, das ist nicht erlaubt für die unter 16-jährigen.
Ralf: Und er hat ja auch ziemlich deutlich gemacht, dass wenn Einzelne das weiter nutzen, das unter Umständen sehr schwierig wird. Daher die Idee das als Klasse, Stufe oder so umzusetzen, finde ich erst mal ganz interessant den Gedanken.
Moritz: Also die Sorge ist, wird ja immer wieder gesagt, wenn jetzt die anderen alle meinetwegen einen ganz bestimmten Dienst nutzen, dann ist es für einzelne Kinder wirklich auch ein Ausschluss, wenn man nicht dabei ist. Und da finde ich an dem Gesetz in Australien wichtig zu betonen, dass Messenger Dienste wie beispielsweise WhatsApp oder Discord ausgenommen sind. Also wir reden hier nicht darüber, dass Kinder unter 16 kein WhatsApp nutzen dürfen. Also es geht um Netzwerke wie Snapchat, Instagram TikTok, X und Facebook, wobei die beiden letzteren genannten wahrscheinlich für Kinder und Jugendliche ziemlich egal sind. Und der ganze Gamingbereich wird auch nicht reguliert.
Ralf: Und auch YouTube nicht.
Moritz: Stimmt. YouTube gilt als Videoplattform, wo entsprechend viele Bildungsinhalte zu finden sind. YouTube wäre entsprechend auch nicht betroffen.
Ralf: Okay.
Moritz: Und dadurch, dass die Anbieter sicherstellen müssen, dass die unter 16-jährigen die Dienste nicht nutzen, ist das vor allen Dingen auch und das hat Tobias ja auch angedeutet, eine große Chance für die Kinder, deren Eltern sich über die Konsequenzen einer problematischen Nutzung so überhaupt gar nicht im Klaren sind.
Ralf: Ich meine, das ist ja auch eine Chance im Sinne von, dass die Kinder wo die Eltern hat Tobias ja auch gesagt, aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage sind, dann geschützt werden.
Moritz: Ja, man könnte das Gesetz ja auch so aufziehen, dass man sagt, die Eltern müssen sicherstellen, dass die Kinder keine Dienste nutzen, für die man mindestens 16 Jahre alt sein soll.
Ralf: Und da sehe ich dann das Problem, dass gerade die problematischen Familien. Da würde das dann auch nicht funktionieren.
Moritz: Genau, also ich glaube, da wäre gar nichts gewonnen.
Ralf: Und ich weiß nicht, ob es dann so viel sinnvoller ist, wenn man das die Anbieter machen lässt, weil wie sollen die dann verifizieren, dass die Person, die da gerade TikTok oder YouTube....
Moritz: Personalausweiskontrolle oder so.
Ralf: Aber das hat die australische Regierung ja gesagt, wollen sie gerade nicht tun.
Moritz: Ja, ja, das stimmt. Also klar. Also man möchte aus Datenschutzbedenken nicht, dass die über 16-jährigen dann ihren Personalausweis bei der Registrierung vor die Webcam halten sollen oder so. Und das ist etwas, was ich so von meinem Standpunkt aus erst mal sehr spannend finde. Also zu beobachten, wie lösen die das jetzt da in Australien, wenn die Anbieter selber das jetzt umsetzen müssen?
Ralf: Das heißt, sie sollen jetzt also Mechanismen oder Verfahren entwickeln, dass das umgesetzt werden kann, was die Politik fordert.
Moritz: Genau.
Ralf: Ja, aber müsste das nicht eigentlich die Politik genauer definieren, wie das umzusetzen ist?
Moritz: Also die Kritik gab es auch schon bei der Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung, die auch Tobias angesprochen hat. Da wurde so vorgeschrieben aus Datenschutzgründen, dass unter 16-jährige die Einverständnis der Eltern brauchen zur Verarbeitung der Daten. Und das gilt nicht nur für Social Media, sondern für alle Dienste, in denen personenbezogene Daten gespeichert werden. Aber es ist nicht genau definiert, wie dann diese Überprüfung stattfinden muss.
Ralf: Zumal das ja auch überhaupt gar nicht abgefragt wird beim Installieren einer App.
Moritz: Genau. Und grundsätzlich glaube ich aber, dass der Gesetzgeber nicht im Detail verantwortlich ist dafür, wie dann diese Altersbegrenzung umgesetzt werden kann. Also in anderen Bereichen ist es durchaus genauso üblich. Wenn jetzt meinetwegen die Europäische Union Abgasgrenzwerte für PKW festlegt, dann steht in dem Gesetz nicht, wie die Grenzwerte erreicht werden sollen, sondern nur, dass sie erreicht werden sollen. Und die Aufgabe, diese Grenzwerte dann zu erfüllen, meinetwegen durch irgendwelche neuen Techniken oder so, das ist dann die Aufgabe der meinem Beispiel jetzt Automobilhersteller dann.
Ralf: Das finde ich total spannend. Das habe ich so noch gar nicht gesehen. Ich fand jetzt erstmal nur total seltsam, dass sie das nicht genau gesagt haben.
Moritz: Ja, und das finde ich auch ein bisschen einfach so das Ganze so auszuhebeln, indem man sagt so, ja, wenn der Gesetzgeber nicht sagt, wie man das macht, wird es nicht funktionieren. Also auch in anderen Bereichen sind die Anbieter in der Verantwortung, das Gesetz umzusetzen und nicht der Gesetzgeber in der Verantwortung den Anbietern ist in die Feder zu diktieren, wie man das umsetzen muss.
Ralf: Was meinst du da?
Moritz: Also ich habe mich in den letzten Jahren immer darüber geärgert, also muss ich ganz ehrlich sagen, dass da immer wieder gesagt wurde, Pornoseiten sind verantwortlich dafür, dass die unter 18-jährigen das Angebot nicht nutzen können und die haben das einfach nie gemacht. Das heißt, du kannst heute immer noch eine Pornoseite aufrufen und du wirst einfach nur gefragt, ob man 18 ist oder nicht.
Ralf: Du hast mal von einem Tool von so einem KI-Tool erzählt, das Alter von Personen bestimmen kann.
Moritz: Ja, anhand des Gesichts kann man wohl mit einer Präzision von plus/minus zwei Jahren festlegen, wie alt eine Person ist. Ich glaube aber, dass das in diesem Bereich einfach nicht ausreicht. Also die Streuung wäre da ein bisschen groß. Möglich wäre beispielsweise sowas wie eine neutrale Instanz, bei der du dich einmal registriert und entsprechend meinetwegen mit einem Ausweis verifizierst. Und das muss dann natürlich eine entsprechend vertrauenswürdige Institution sein, vielleicht sogar eine Bank oder so, wo du dann sowieso als Volljähriger ein Konto eröffnet hast.
Ralf: Und dann würde TikTok sich quasi bei dieser Institution sich darüber informieren, ob die entsprechende Person zum Beispiel volljährig ist.
Moritz: Genau. Und da würden sonst auch gar keine Daten weiter übermittelt werden.
Ralf: Das klingt jetzt erst mal ganz vielversprechend, finde ich.
Moritz: Ich glaube auch. Also zumindest von allen Varianten, die ich bisher so kennengelernt habe, da halte ich die für am realistischsten. Ich sehe die Probleme eher so an anderer Stelle.
Ralf: Ich muss gerade an das Gespräch mit dem Lehrer von der Deutschen Schule in China denken.
Moritz: China?
Ralf: Ja, da haben wir doch einen Online Elternabend gemacht.
Moritz: Jetzt weiß ich, welche Veranstaltung du meinst.
Ralf: Der hat erzählt, dass die deutschen Jugendlichen über VPN-Tunnel in einem sehr regulierten chinesischem Internet ganz normal WhatsApp und Instagram nutzen können, obwohl das eigentlich nicht geht.
Moritz: Wie erklären wir jetzt in unserem Podcast einen VPN-Tunnel, dass man das versteht?
Ralf: Also im Prinzip loggst du dich mit dem chinesischen Computer dann auf einem deutschen Computer ein und dieser deutsche Computer nutzt an das Internet zum Übertragen der Inhalte aus Deutschland auf den durch diesen VPN.Tunnel nach China.
Moritz: Also ich habe es verstanden.
Ralf: Na gut, du wusstest auch schon vorher, was das ist.
Moritz: Ein Virtual Private Network.
Ralf: Angeber.
Moritz: Danke. Nein, im Ernst. Also, stell dir vor, ein betroffenes Netzwerk beschließt, aufgrund der strengen Regelung sein Angebot für das für den australischen Markt zu sperren. Also, nehmen wir mal an, TikTok. Also, das ist jetzt nicht davon auszugehen, aber nehmen wir mal an, dass die sagen, diese Altersverifizierung ist zu kompliziert oder zu teuer oder sie haben Angst vor was weiß ich irgendwelchen teuren Strafzahlungen.
Ralf: Das heißt, da würde TiktTok auf den australischen Markt komplett verzichten.
Moritz: Genau. Danach sieht es jetzt wirklich nicht aus. Das ist nur so ein Gedankenspiel.
Ralf: Das finde ich jetzt gar nicht so unrealistisch, zumal Apple und andere Techkonzerne bestimmte KI-Tools ja in Europa auch nicht freigeschaltet haben, weil entsprechend die entsprechende Rechtsgrundlage wohl es so ohne Weiteres diesem Tool nicht entspricht.
Moritz: Es ist wohl eher so, dass die Tools nicht der Rechtslage entsprechen.
Ralf: Wie auch immer du das jetzt formulierst, aber es gibt einfach technische Möglichkeiten mit KI, die zum Teil den europäischen Datenschutzvorgaben nicht entsprechen und die man dann in Deutschland halt nicht nutzen kann. Und offensichtlich lohnt es sich für die Anbieter nicht, das Angebot datenschutzkonform zu gestalten. Und dann gibt es halt eben nur in den USA und China und wir können das einfach nicht nutzen.
Moritz: Wenn du übrigens deinem Browser vorgaukelst, dass du aus der Schweiz kommst, dann hast du bei Google wieder Google Maps als ganz normalen Reiter, habe ich gehört. Also ich weiß nicht, ob das stimmt.
Ralf: Ach was.
Moritz: Wir kommen vom Thema ab. Also nehmen wir mal an, dass TikTok einfach kein attraktives Angebot mehr für Australien macht und auf diese Art und Weise sich dann eine Nutzung über VPN etabliert, vielleicht sogar unter Kindern und Jugendlichen. Und dann sind die Kinder kein bisschen geschützt. TikTok ist fein raus und das ist so ein Problem, was ich grundsätzlich sehe, dass die großen Konzerne durch die Struktur des Internets unfassbar viel Macht haben und dass dann oft so staatliche Regulierung einfach ins Leere laufen. Womit ich jetzt nicht sagen wollte, dass ich es nicht gut finde, Techkonzerne zu regulieren. Also ganz im Gegenteil. Also ich freue mich, wenn es gelingt, die Konzerne da zur Verantwortung zu ziehen.
Ralf: Ich glaube auch, dass viele Menschen, die sich jetzt für ein entsprechendes Verbot von Social Media unter 16 Jahren in Deutschland einsetzen, dass denen es auch darum geht, diese Konzerne endlich mal in die Schranken zu weisen.
Moritz: Mir geht es genauso.
Ralf: Dann müsste dir doch auch gefallen, dass in Amerika jetzt TikTok ich sag mal ganz schön unter Druck gerät.
Moritz: Wegen Spionage usw.
Ralf: Ja, die wollen ja, dass quasi Bytedance ins TikTok auslagert oder verkauft, sonst würden sie es in Amerika nicht weiter nutzen.
Moritz: Und das finden viele Leute richtig, richtig geil, obwohl man gar nicht so genau weiß, worum es geht. Also ich habe manchmal das Gefühl, dass da wirklich wenige Konzerne und das sind fast immer amerikanische und mit TikTok ein chinesisches Unternehmen, die die Gesetzgebung wirklich, wie ich es gerade formuliert habe, wirklich vor sich her hertreiben, also. Und da verspüre ich in mir drin auch so das Bedürfnis, dass meinetwegen die Europäische Union oder oder Deutschland oder so einfach wirklich sagt: So, jetzt reicht's, wir weisen euch in die Schranken. Verbraucherschutz, Jugendschutz muss jetzt endlich ernst genommen werden. Und es kann nicht sein, dass die Techkonzerne da auf Kosten von Verbraucherschutz oder meinetwegen auch auf der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unfassbar viel Geld verdienen.
Ralf: Und das wäre dann noch eigentlich ein ganz klares Argument für eine solche Regulierung auch in Deutschland.
Moritz: Ja, ja, aber nur, wenn sie umsetzbar ist. Also meine ganz große Sorge ist, dass Australien da jetzt ordentlich auf die Kacke haut, Applaus von ganz vielen Menschen bekommt, die sich vielleicht freuen, dass da endlich mal jemand durchgreift gegen diese saukapitalistischen Arschlöcher.
Ralf: Und das schneiden wir mal raus.
Moritz: Nee, machen wir nicht, weil ich das hier schneide. Ich wollte immer schon mal in einem Podcast so saukapitalistische Arschlöcher sagen, aber das, was ich sagen möchte, ist: Jetzt applaudieren ganz viele. Die australische Regierung sonnt sich in dem Applaus und nach einem Jahr kommt dann heraus, dass es nicht möglich ist, mit den Anforderungen von Datenschutz oder was auch immer dieses Gesetz umzusetzen. Und am Ende passiert dann gar nichts. Bis auf die Tatsache, dass man dann vielleicht einer demokratisch gewählten Regierung noch weniger zutraut und dass da am Ende vielleicht sogar die Demokratie darunter leidet, weil der Eindruck entsteht, dass die Interessen von irgendwelchen Konzernen eben dann doch über den Entscheidungen einer gewählten Regierung steht.
Ralf: Und dann hat das auch so ein bisschen was Populistisches, ne?
Moritz: Tatsächlich, in die Richtung habe ich auch schon gedacht. Also ich glaube schon, dass eine verantwortungsvolle Regierung schon vor der Einführung eines so bedeutungsvollen Gesetzes irgendwie sicherstellen sollte, dass es technisch soweit möglich ist, dass es umgesetzt werden kann. Also nicht ins bis ins Detail, aber zumindest so weit, dass man sich am Ende dann nicht so, wie ich es jetzt gerade in ganz düsterer Voraussicht beschrieben habe, blamiert. Und das wäre dann so, wie wenn eine Regierung jetzt sagen würde, wir verbieten jetzt mal den Klimawandel und alle CO2 produzierenden Unternehmen haben das im nächsten Jahr umzusetzen, damit wir ab 2026 keinen Klimawandel mehr haben.
Ralf: Du hast vorhin von diesen Abgasgrenzwerten bei den Autos gesprochen als Beispiel. Und diese Automobilhersteller, die klagen ja auch jedes Mal, können wir nicht umsetzen, geht nicht und am Ende klappt es ja dann doch immer.
Moritz: Ja, deshalb hoffe ich, dass meine Sorge, wie ich es jetzt gerade beschrieben habe, sich nicht bewahrheitet und am Ende nächsten Jahres dann tatsächlich ein zuverlässiges Altersverifizierungssystem in Australien entsteht, was dann Vorbild sein kann für den Rest der Welt.
Ralf: Okay.
Moritz: Ich habe da noch einen ganz anderen Punkt, der die Nutzung des Internets erschweren wird.
Ralf: Und zwar?
Moritz: Stell dir vor, du bist australischer Vater und dein Kind erzählt dir die ganze Zeit, dass es aus irgendwelchen Gründen Snapchat benutzen muss. Also vielleicht, weil es einen kanadischen Austauschschüler kennt, der kein WhatsApp benutzt, sondern Snapchat.
Ralf: Das finde ich gar nicht so unrealistisch. Ich habe neulich irgendwo gelesen, dass kanadische Jugendliche tatsächlich gar kein WhatsApp, sondern viel mehr Snapchat nutzen.
Moritz: Hat mir eine Schülerin erzählt und ich weiß jetzt nicht, ob es viele Austauschprogramme zwischen Australien und Kanada gibt. Aber egal. Und jetzt kommst du als Vater zu dem Ergebnis, dass es sinnvoll ist, dass dein Kind meinetwegen mit zwölf oder 13 dann eben zur Kommunikation Snapchat benutzt, sodass du also die Registrierung für dein Kind übernimmst. Also du als volljähriger Vater richtest das ein und jetzt gibst du deinem Kind das Handy und das Kind legt los und nutzt Snapchat, obwohl es das eigentlich gar nicht darf. Muss jetzt Snapchat bei jeder - na, wie nennt man das - Sitzung überprüfen, ob das Kind tatsächlich 16 ist.
Ralf: Okay, du meinst, dass es eigentlich nicht reicht, wenn man sich einmal registriert, sondern eigentlich jedes Mal bei der Nutzung das überprüft werden müsste?
Moritz: Genau. Und das wäre zu klären, weil sonst nicht wirklich viel gewonnen ist. Also auch hier wieder. Wenn dann die Eltern von den Kindern, die ganz besonders nerven und dann sagen die Eltern so ja okay, dann richte dir das halt ein, obwohl du noch zu jung bist, Aber geh mir bitte nicht auf die Nerven.
Ralf: Und dann würde die Verantwortung wieder zu 100 % an die Eltern abgewälzt werden.
Moritz: Ja, und insbesondere die Eltern, denen es schwerfällt sich durchzusetzen, wenn es darum geht, dem Kind nicht alles zu erlauben, werden wahrscheinlich dafür sorgen, dass dann doch wieder Kinder unter 16 Social Media Accounts von den Eltern nutzen Und ach, ich weiß auch nicht.
Ralf: Aber es ist doch unfassbar kompliziert, wenn. Wenn du jetzt jedes Mal beim Sperren deines Handys, nur weil du Nachrichten checken willst, bei Snapchat dein Alter verifizieren müsstest.
Moritz: Das wäre zu klären. Also wenn es jetzt, wenn da meinetwegen gesagt wird, nur bei der Registrierung, muss das überprüft werden, dann glaube ich nicht, dass es wirkungsvoll dazu führt, dass wirklich keine unter 16-jährige Snapchat nutzen.
Ralf: Ich habe das Gefühl, dass auch wenn so eine gesetzliche Regelung mit entsprechender Androhung von Strafe, wenn es das gibt, dass die Eltern trotzdem überhaupt gar nicht aus der Verantwortung genommen werden.
Moritz: Ich glaube nicht. Und ich glaube, dass dann das, was Tobias beschreibt, also dass die Eltern selber sich dafür einsetzen müssen, das wird Eltern nicht abgenommen werden. Und da sind wieder ganz besonders die Kinder gefährdet, deren Eltern sich tatsächlich nicht, sagen wir mal so, darum kümmern, was die Kinder im Internet machen oder die vielleicht auch nicht auf so einer entsprechenden Beziehungsebene ansprechbar sind, wenn es um Cybergrooming und Sextortion geht. Und da reden wir natürlich nicht über die Kinder von den Eltern, die jetzt auch schon im Grunde genommen das sehr viel richtig machen.
Ralf: Klar, und als Vater finde ich das auch irgendwie total komisch, wenn der Staat sich da so einmischt und mir im Prinzip vorschreibt, was ich meinen Kindern erlauben darf oder nicht.
Moritz: Da sind die einzelnen gesetzlichen Regelungen in verschiedenen Staaten und anderen Bereichen ja auch sehr verschieden. Also meinetwegen in Deutschland darfst du Alkohol in der Öffentlichkeit erst mit 16 trinken, aber was zu Hause passiert, obliegt so den Eltern und das ist in anderen europäischen Staaten anders geregelt. Und da musste ich auch vorhin daran denken, als Tobias sagte, dass die Gefährdungslage durch Social Media eigentlich überall gleich ist. Das gilt für Alkohol auch und trotzdem wird es in einzelnen Ländern unterschiedlich umgesetzt.
Ralf: Den Vergleich mit dem Alkohol finde ich ganz interessant. Mir wäre glaube ich mal wichtig, noch mal das gesellschaftlich generell einzuordnen. Vielleicht finden wir aus anderen Bereichen Vorbilder oder Beispiele, wie Jugendgefährdung durch Verbote geregelt wird.
Moritz: Worauf willst du hinaus?
Ralf: Das was mir aufgefallen ist, dass in dem Zusammenhang auch ganz häufig, zum Beispiel mit dem Straßenverkehr das verglichen wird. Du darfst ein Auto erst ab 18 Jahren fahren.
Moritz: Schön, dass du mit dem Vergleich anfängst, weil genau das nämlich nicht stimmt.
Ralf: Ja, weil du mit 17 begleitetes Autifahren...
Moritz: Nein. Du darfst generell in Deutschland nicht Auto fahren, auch nicht pauschal mit 18.
Ralf: Wieso nicht?
Moritz: In Deutschland dürfen Menschen ein Auto fahren, wenn sie eine Fahrerlaubnis besitzen. Und die besitzen sie nicht automatisch mit 18.
Ralf: Also so habe ich das jetzt noch gar nicht gesehen Moritz.
Moritz: Ja, aber ich finde, das ist für mich als Pädagogen ein ganz, ganz großer Unterschied. Also die Konstruktion ist, dass du für das Führen eines Kraftfahrzeugs eine Fahrerlaubnis brauchst, die du erst erwerben kannst, wenn du ein bestimmtes Alter erreicht hast. Das Alter allein befähigt dich nicht zum kompetenten Führen eines Kraftfahrzeugs.
Ralf: Jetzt verstehe ich, was du meinst. Es langt nicht, dass du Auto fahren kannst. Du musst es in einer Prüfung beweisen, dass du das tatsächlich kannst.
Moritz: Genau. Und deshalb finde ich den Vergleich zum Straßenverkehr in dem ganzen Zusammenhang wirklich mega unpassend. Also bei einem Gesetz in Australien ist es so, dass sobald du 16 bist, kannst du Social Media nutzen und es wird nicht kontrolliert, ob du geeignet bist, Social Media zu nutzen. Und das heißt, wenn du jetzt meinetwegen mit einer schweren Depression auf TikTok unterwegs bist, dann wird das was ganz anderes mit dir machen, als wenn man in einer Prüfung oder so feststellt. Muss ja nicht gleich eine MPU sein, dass bei dir alles so weit fresh ist und du kannst konfrontiert werden mit zum Teil auch sehr irritierenden Bildern in Social Media. Okay, und du wirst ja auch nicht zwangsläufig durch die gesetzliche Regelung darauf vorbereitet, das dann mit 16 nutzen zu können.
Ralf: Fallen dir andere vergleichbare Situation also offline ein, die man mit dieser Situation im Internet vergleichen könnte?
Moritz: Besser als im Straßenverkehr... Hm, vielleicht so was. Ja, ja, wie so eine Spielothek. Also es ist gesellschaftlicher Konsens, dass eine Spielothek ein jugendgefährdender Ort ist. Deshalb steht im Jugendschutzgesetz, dass unter 18-jährigen der Zutritt zu einer Spielothek nicht zu gewähren ist, oder? Ich glaube, so ähnlich ist es da formuliert.
Ralf: Und da ist die Haltung der Eltern jetzt erst mal völlig egal.
Moritz: Genau. Das Problem haben übrigens auch nicht die Jugendlichen, die da trotzdem reingehen, wenn es möglich ist, sondern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spielothek, die den Zutritt dann gewährt haben. Und das entspricht ziemlich genau der Situation, die wir jetzt online haben. Und nach dem Vergleich wäre es vielleicht tatsächlich auch wichtig, dass jeder Zutritt überprüft werden muss und nicht einfach nur die Registrierung.
Ralf: Und demnach wäre es dann schon durchaus legitim, bei entsprechender Jugendgefährdung vor allen Dingen ganz restriktiv zu verhindern, dass Minderjährige oder unter 16-jährige Social Media nutzen können.
Moritz: Genau. Und jetzt weiß ich nicht. Ein Grundrecht auf Spielothekbesuch oder so bei Kindern und Jugendlichen hätte ich jetzt noch nirgendwo gefunden. Aber ich habe durchaus einige Standpunkte gelesen in den letzten Tagen, wo gesagt wurde, dass Kinder ein Recht haben auf zeitgemäße Kommunikation oder vielleicht auch auf zeitgemäße Unterhaltung und dass man Jugendliche schon sehr in ihren Rechten einschränkt, wenn man pauschal sagt, du darfst jetzt mit 13, 14, meinetwegen TikTok oder Snapchat nicht nutzen.
Ralf: Auf der einen Seite haben Kinder das Recht, vor Gefahren geschützt zu werden in Social Media und gleichzeitig hast du aber auch das Recht von denen auf Partizipation, Informationsfreiheit, Teilhabe.
Moritz: Ja, genau. Und deshalb finde ich das sehr wichtig, dass die Studienlage, auf die man sich bezieht, wenn man ein entsprechend drastisches Verbot einführen möchte, wirklich so stabil ist, dass man nicht in wenigen Jahren feststellt so, oh, hoppla, da waren wir vielleicht ein bisschen streng 2024.
Ralf: Tobias hat da verschiedene Studien angeführt.
Moritz: Ja, und ich würde die auch gerne alle in den Shownotes verlinken, aber trotzdem muss man sagen, dass alle diese Studien zum Teil sehr kontrovers diskutiert werden. Also ich möchte nur daran erinnern, wie wir uns in der vorletzten Folge bei der Auseinandersetzung mit der ICIS Studie darauf geeinigt haben, nicht mehr über Studien kontrovers zu diskutieren.
Ralf: Das stimmt nicht. Du hast dir nur zwei, zwei studienfreie Folgen gewünscht.
Moritz: Ja, und das betrifft auch die von heute.
Ralf: Ich glaube, da müssen wir eine Ausnahme machen.
Moritz: Nein, möchte ich jetzt nicht. Also ich möchte jetzt mich nicht mit den einzelnen Studien beschäftigen, sondern eher, sagen wir mal so, einen Blick in die Geschichte wagen.
Ralf: Das ist ja bei einer Diskussion über moderne Social Media Regulierung sicherlich sehr hilfreich.
Moritz: Ich will nicht über das alte Rom oder so reden, sondern über die Zeit vor circa 20 Jahren, als in Deutschland ein Killerspielverbot gefordert wurde.
Ralf: Stimmt. Und das waren nicht nur Politikerinnen und Politiker, sondern tatsächlich auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Eine große, die eine große Angst vor der Wirkung von gewalthaltigen Computerspielen hatten.
Moritz: Genau, und damals, in den 90er Nullerjahren, kamen diverse Studien zum Ergebnis, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Computerspielen wie Counterstrike und Doom und so und dem Entwickeln von aggressivem Verhalten gab. Vielleicht erinnerst du dich an die Studien vom Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen unter der Leitung von Christian Pfeiffer?
Ralf: Ja, ich habe mich damals oft sehr geärgert, weil ich immer so das Gefühl hatte, dass die da über Computerspiele urteilen, die sie, also Menschen, die überhaupt keine Ahnung von der Kultur drumherum und so hatten.
Moritz: Das war damals auch so ein Teil der Diskussion und zumindest galten aber viele dieser Studien damals als Beleg dafür, dass die Nutzung entsprechender Computerspiele idealerweise eingeschränkt werden müsste. Bzw. man wollte, dass manche Spiele komplett verboten werden. Und mittlerweile ist es so, dass aktuelle Studien aus den letzten zehn Jahren belegen, dass es keinen direkten kausalen Zusammenhang zwischen diesen Computerspielen und Aggressionen gibt. Das liegt zum einen daran, dass die Forschungsmethoden heute vielleicht belastbarer sind und auch die Forschungsfragen präziser und vor allen Dingen aber, dass man langfristige Effekte mit in die Studien einfließen lassen kann.
Ralf: Und da glaubst du, dass sich das quasi jetzt diese Situation wiederholt?
Moritz: Ich befürchte, oder ich halte es zumindest nicht für unrealistisch, dass das genauso wieder passieren kann. Also dass die Wirkung von Social Media Langzeitstudien dann auch ganz anders beurteilt wird, weil die Zahlen beispielsweise, die Tobias anspricht. Du erinnerst dich, die Steigerung um 77% bei den motorischen Entwicklungsstörungen bei Jugendlichen bedeutet faktisch, dass in den letzten zehn Jahren das eine Zunahme von ungefähr 0,6 % auf 1,1 % gab und 77 %. Klingt natürlich jetzt erstmal sehr, sehr viel.
Ralf: Wollte ich gerade sagen. Das klingt ja ganz anders, wenn man dann von.
Moritz: Ja, aber was mich viel mehr beschäftigt ist, dass halt in diesem Zeitraum der letzten zehn Jahre auch die Corona-Pandemie liegt, die dann natürlich auch abgebildet wird, mit allen Auswirkungen auf die Bewegungsmöglichkeiten der Kinder und natürlich dann auch Entwicklungsmöglichkeiten. Und das ist alles.
Ralf: Wobei ich Tobias da schon verstehen kann, wenn er sagt, dass er jetzt nicht irgendwie warten kann, bis es endlich neue Gesetze gibt.
Moritz: Für die Eltern jetzt ist das ein Problem.
Ralf: Oder Langzeitstudien abzuwarten.
Moritz: Du bräuchtest ja ein Studiendesign, um die Wirkung von Social Media da wirklich beurteilen zu können in den letzten zehn Jahren, dass du zwei Referenzfamilien hast. Das eine Kind hat Social Media genutzt und dabei keine Corona Pandemie erlebt und das andere Kind hat genau die Situation erlebt, wie jetzt eigentlich alle Kinder.
Ralf: Und diese Laborbedingungen haben wir nicht.
Moritz: Die haben wir nicht. Genau das ist das Problem grundsätzlich von sozialwissenschaftlichen Studien.
Ralf: Okay, finde ich ganz spannend. Wir hatten ja eh mal überlegt, auch eine Folge zu machen, inwieweit Social Media da solche Sachen verstärkt. Deine Annahme ist ja, dass Kinder mit Depressionen zum Beispiel Social Media auf eine andere Art und Weise nutzen, als Kinder, die keine Depressionen haben und das durch die Wirkung von Social Media unter Umständen sich Depressionen verstärken und die Ursache außerhalb von der Mediennutzung dann zu suchen ist.
Moritz: Ich habe mich tatsächlich gerade mit einer aktuellen Studie zum Thema Depressionen bei Kindern und Jugendlichen sehr ausführlich beschäftigt. Aber ich möchte aus verschiedenen Gründen jetzt an dieser Stelle diesen Exkurs im Keim ersticken.
Ralf: Was du somit gemacht hast.
Moritz: Vielleicht noch mal zwei, drei Gedanken zu den Grenzen und Regeln, über die wir eben gesprochen haben. Also ich habe letzte Woche in zwei Klassen nachgefragt, in welchen Familien gemeinsame Mahlzeiten so was wie smartphonefreie Zeit sind. Und in beiden Fällen war es wirklich weit mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die sich da gemeldet haben.
Ralf: Ich meine, es muss ja nicht immer stimmen, aber zumindest ist es allen klar, dass es eigentlich erstrebenswert wäre, beim Essen die Smartphones zur Seite zu legen.
Moritz: Ja, genau. Und dabei gehe ich davon aus, dass es eine Menge Kinder gibt, bei denen es überhaupt gar keine gemeinsamen Mahlzeiten in den Familien gibt. Und diese Kinder nutzen dann wahrscheinlich sehr unbegrenzt Social Media und gehen da unter. Und die würden dann, wenn sie kein Social Media nutzen dürften, vielleicht emotional oder seelisch davon profitieren. Also es kann durchaus sein, dass einsame Kinder durch die Social Media Nutzung ihre Einsamkeit dahingehend kompensieren, dass sie nicht merken, wie einsam sie sind und dadurch noch einsamer werden und immer weiter verschwinden.
Ralf: Was?
Ralf: Also, ich will den Satz jetzt nicht noch mal sagen. Hör ihn dir einfach an, wenn die Folge fertig geschnitten ist.
Ralf: So geht es mir ganz oft, dass ich beim Hören unseres Podcasts erst verstehe, was wir eigentlich sagen wollten oder gesagt und nicht gesagt haben oder hätten besser ausdrücken können oder so.
Moritz: Was wahrscheinlich für den letzten Satz von dir genauso gilt.
Ralf: Okay, ich glaube zumindest, dass wir in der Prävention an vielen Punkten in den letzten Jahren aber doch schon einiges erreicht haben, würde ich sagen.
Moritz: Und das ist das, was mich an dieser ganzen Diskussion so ein wenig, wie soll man sagen, betroffen macht oder weshalb vielleicht auch der Eindruck entsteht, dass ich mich da so sträube gegen so ein Gesetz oder so, was ich nicht wirklich tue. Also hm, also Tobias sagt, dass eine Begleitung bei der Mediennutzung zwar sympathisch ist, aber seiner Einschätzung nach im Ergebnis gefährlich ist. Und das schmerzt, weil im Prinzip sieht es so aus, dass unsere Arbeit nicht dem gewachsen ist, was geleistet werden müsste. Also was wir machen im Bereich von Medienerziehung und Prävention.
Ralf: Ja, ich glaube, das ist ein Teil des Problems. Wir arbeiten jetzt seit Jahren mit fast 1000 Schulklassen zusammen jedes Jahr und erleben dort ja ganz großartige Kinder und Jugendliche aus ganz, ganz tollen Familien, für die Social Media ein Ort der Inspiration ist, wo man also die gucken sich Sachen an, gehen raus und probieren das aus.
Moritz: Ich hatte jetzt gerade eine Schülerin, die hat erzählt, dass sie auf Pinterest immer Anregungen sucht, wie sie ihr Zimmer einrichten kann.
Ralf: Ja, und du findest auf TikTok auch total tolle Anleitungen und Tutorials. Das ist nicht alles schlecht.
Moritz: Das ist auch so ein Punkt, wo man genau gucken muss, ob hinter der ganzen Diskussion nicht auch so eine Art Kulturkampf steckt. Also ich sage nicht, dass es so ist. Ich möchte nur auch hier wieder als Finger in der Wunde. Also wenn man so eine Wunde ist und wenn ich überhaupt ein Finger bin, also das auch noch. Also ich habe oft das Gefühl, dass manchmal so in der ganzen Diskussion drin steckt. Früher war alles besser, als es noch kein Social Media gab, weil da hat man noch Fernsehen geguckt und viel gelesen.
Ralf: Und als das Fernsehen eingeführt wurde, hat man gesagt, man soll nicht so viel Fernsehen gucken.
Moritz: Und vielleicht gehört es auch ein Stück weit dazu, dass Jugendkultur Erwachsene irritiert. Und was Erwachsene nicht verstehen, wird dann oft problematisiert. Und wenn dann Probleme auftauchen, die man vielleicht vor ein paar Jahren vorher in der Form noch gar nicht wahrgenommen hat, dann will man irgendwas haben, was dafür verantwortlich sein kann. Und jetzt hat man eine Zunahme von Einsamkeit oder Depressionen bei Kindern und Jugendlichen festgestellt, die man in der Form vor einigen Jahren noch nicht so wahrgenommen hat.
Ralf: So wie bei der Diskussion über Killerspiele.
Moritz: Genau. Da gab es Attentate in Schulen. Du erinnerst dich an die Amokläufe? Und da brauchte man eine Erklärung. Und Computerspiele waren die große Unbekannte, die dann so als Ursache gesehen wurden.
Ralf: Okay, und das ließe sich dann durch entsprechende Langzeitstudien verifizieren, ob es so wäre.
Moritz: Dann sind Dinge nicht mehr populärwissenschaftlich, sondern tatsächlich valide. Und ich glaube, dass man so aus dem Bauchgefühl heraus Jugendlichen immer schon unterstellt hat, dass sie faul sind oder respektlos oder sich unanständig kleiden oder problematische Musik hören. Gangsterrap, Heavy Metal, Spice Girls.
Ralf: Spice Girls?
Moritz: Ja doch. Also Posh Spice, also Victoria von den Spice Girls war ein Schönheitsideal für junge Mädchen. Und es galt damals als durchaus problematisch, weil die wirklich extrem dünn inszeniert wurde. Oder meinetwegen Models wie Kate Moss. Das heißt also, auch in unserer Jugend gab es Probleme dadurch, dass über Viva und MTV Jugendliche unter Druck gesetzt wurden, durch Schönheitsideale oder wie man auszusehen hat, wie man sich zu kleiden hat und so und deshalb glaube ich eigentlich, dass das Problem nicht so neu ist. Aber ich höre viele Eltern, die jetzt so zwischen 30 und 50 Jahre alt sind und die sagen, dass unsere Jugend ja ganz unbeschwert war und dass es die ganzen Probleme wie TikTok und so alle noch nicht gab. Aber wenn du jetzt gucken würdest, dann würde man damals immer noch die gleichen Sorgen gehabt, nur an anderen Beispielen.
Ralf: Das heißt, die Probleme der Kinder gab es schon immer und liegen letztendlich ganz woanders.
Moritz: Pubertät war immer schon schwierig.
Ralf: Ja, wir sehen auf den Bildschirmen unserer Kinder Symptome einer riesigen Problemlage, die mehr mit Entwicklungsaufgaben als mit Medienkonsum zu tun haben.
Moritz: Es ist anspruchsvoll, erwachsen zu werden. Und je komplexer die Welt, desto komplexer auch die Pubertät und die Symptome für Dinge, die da schiefgehen, siehst du dann in Form einer problematischen Mediennutzung. Und das erfordert eine entsprechend aufwendige Begleitung durch Bildung und Erziehung. Also Tobias hat das Fach Medienkompetenz gefordert und das kostet alles Geld. Dann ist es einfach billiger, die Symptome zu verbieten. Und die Gesellschaft ist ja einfach nicht bereit, das Geld für vernünftige Bildung und Erziehung zu investieren.
Ralf: Die Gesellschaft, da würde ich jetzt erst mal so widersprechen wollen.
Moritz: Aber mal ganz ehrlich. Welchen Stellenwert hat deiner Wahrnehmung nach im aktuellen Wahlkampf angemessene Bildung und Erziehung? Also wer redet darüber? Spielt das eine Rolle?
Ralf: Auf Bundesebene?
Moritz: Bundesebene, Landesebene? Diese Ebene, das Ebene, das spielt auch gar keine Rolle. Im Landtagswahlkampf werden doch auch diverse Bundesthemen diskutiert. Aber warum ist da? Ach, ich fühle mich. Ich trinke jetzt erstmal einen Kaffee. Ich rege mich hier nur auf. So, aber was mich zum Beispiel auch aufregt ist, dass ich zum Beispiel denke, dass man bei den unter 16-jährigen, da redet man jetzt über die 15-jährigen, die da irgendwie keine TikTok nutzen sollen, weil sie sich dumm und dämlich scrollen. Aber eigentlich ist das Problem doch vielleicht einfach bei den Null bis 6-jährigen, wenn irgendwelche Eltern die Kinder vorm Tablet parken. Wenn man irgendeinen Kram macht, der für Kinder nicht zuzumuten ist, dann kriegen die YouTube Kids vorgesetzt, lernen überhaupt nicht mit Langeweile umzugehen, werden ständig bespaßt und das ist doch klar das diese Kinder dann mit 15 sich dumm und von daher. Man müsste eigentlich den Eltern verbieten, Kinder mit Tablets ruhigzustellen. Ja wie gesagt, ich wollte. Ich wollte Kaffee trinken. Also von daher.
Ralf: Stichwort Politik. Moritz, hast du mitbekommen, dass Amazon und Meta 1 Million $ spenden für die Amtseinführung von Donald Trump?
Moritz: Nee.
Ralf: Bei der Amtseinführung von Joe Biden, haben die Unternehmen nichts gespendet. Jetzt schon.
Moritz: Das machen die bestimmt ganz uneigennützig und erwarten da auch keine entsprechenden Gegenleistungen.
Ralf: Nein, werden die wahrscheinlich auch gar nicht bekommen.
Moritz: Gerade bei Donald Trump kann ich mir nicht vorstellen, Aber das ist sicherlich auch auch ein Thema, also die Einflussnahme gerade dieser Konzerne auf die Politik auf diesem Weg. Ich mache mir da große Sorgen, dass diese die Algorithmen von Social Media im Prinzip wie gemacht sind für so einen populistischen Wahlkampf, bei dem dann Provokationen und Lügen sich einfach viel schneller verbreiten als sagen wir mal. Ach, also, weißt du, was ich meine? Und ich glaube, dass da Kinder und Jugendliche ganz massiv gefährdet sind, entsprechend manipuliert zu werden. Ich habe mich aber gefragt, ob Erwachsene in der Lage sind, mit dieser Form von digitalen Populismus zurechtzukommen.
Ralf: Ja, nur weil jemand 16 Jahre alt ist, bedeutet es ja nicht, dass er mit all diesen Dingen automatisch umgehen kann.
Moritz: Nein. Gerade, wenn es dann emotional wird. Und da erwische ich mich manchmal dabei, dass ich mir wünschen würde, dass politische Inhalte oder Wahlkampf mit TikTok oder Instagram oder was auch immer von mir aus Facebook oder einfach grundsätzlich verboten werden würde.
Ralf: Also nicht nur für unter 16-jährige, sondern für alle.
Moritz: Für alle. Also mein Gefühl sagt mir, dass es gut wäre, wenn TikTok, Facebook usw. einfach nur für Kätzchenvideos und so genutzt werden zur Unterhaltung. Und weil ich glaube, dass seit es Social Media gibt, gibt es ein enormes Anwachsen an Wählerinnen und Wählern, die sich für populistische Parteien entscheiden.
Ralf: Ich meine, es ist auch möglich, sich heute mit derart menschenverachtenden Thesen öffentlich zu präsentieren, was man sich vor 20 Jahren überhaupt nicht getraut hätte.
Moritz: Genau, genau seit es Social Media gibt. Also gibt es eine Zunahme von extrem sexistischen, rassistischen oder sonstwie diskriminierenden Forderungen, die hemmungslos öffentlich gemacht werden. Und da spüre ich, dass uns ein Verbot von Social Media im Wahlkampf vielleicht wieder so eine ganz andere Diskussionskultur ermöglichen würde. So wie es zu Zeiten war, als die öffentliche Bühne so eine moderate Talkshow im Fernsehen war, wo du nicht ungestraft unfassbar rassistische Lügen tätigen konntest.
Ralf: Okay, jetzt bist du aber auch ganz schön reaktionär, oder sagen wir mal restriktiv.
Moritz: Ja, weil ich Angst habe, dass Social Media es Faschisten einfacher macht, die Macht zu übernehmen.
Ralf: Ja, und aus dieser Angst heraus forderten vor 20 Jahren verschiedene Expertinnen und Experten, ein Verbot von Killerspielen.
Moritz: Heute weiß man, dass das so einfach nicht ist. Und wenn ich ehrlich bin, kann es sein, dass man in 20 Jahren auch genau weiß, dass das Wiedererstarken von Rechtsextremismus eher so ein gesamtgesellschaftliches Problem war, das durch Social Media vielleicht begünstigt wurde, aber die Ursachen dann ganz woanders lagen. Und ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich mich da auch zu wenig auskenne, was in Europa oder im gesamten Westen oder vielleicht in der ganzen Welt dazu führt, dass sich ein großer Teil der Wählerinnen und Wähler für populistische Parteien oder vielleicht auch, sagen wir mal so ein diktatorisches, oder?
Ralf: Ja, aber da gibt es ja eine Menge Expertinnen und Experten, die sich da auskennen.
Moritz: Ja, und da gehöre ich vielleicht durch meine Angst dann auch nicht dazu. Also das heißt, durch die Angst bin ich da vielleicht auch nicht wirklich objektiv.
Ralf: Wir machen doch genau solche Veranstaltungen zum Thema Desinformation und Hass in Social Media.
Moritz: Also ganz ehrlich, was ich mache in den Veranstaltungen zum Thema Desinformation oder Manipulation in Social Media, ist, dass ich immer versuche zu reflektieren, was meine Ängste sind, die mich dazu hinreißen, Menschen nicht zuzugestehen durch entsprechende Kompetenzen mit diesen Risiken umzugehen. Also das heißt, dass ich dann meine Angst vor meinetwegen Faschistinnen und Faschisten anderen Menschen nicht zugestehe, nicht zu Faschistinnen und Faschisten zu werden, obwohl sie mit diesen Leuten da irgendwie kommunizieren. Und ich habe mich da auch, also in anderen Zusammenhängen damit beschäftigt, welchen Einfluss man in der Wissenschaft dem Volksempfänger während der Nazizeit zugetraut hat.
Ralf: Der Volksempfänger war ein Radio, das die Nazis 1933 eingeführt haben, um die Bevölkerung mit nationalsozialistischer Propaganda zu erreichen, zu manipulieren.
Moritz: 1939 besaßen in Deutschland mehr als 2/3 aller Haushalte in Deutschland ein Radio, und das war im Vergleich zu anderen Ländern eine enorm hohe Quote.
Ralf: Und der Volksempfänger hat die Menschen dann zu Nazis gemacht?
Moritz: Haben wir nicht in unserem Podcast schon mal drüber gesprochen? Ich weiß das gar nicht, aber viele Menschen haben das nach dem Krieg gerne so gesagt. Also wir wollten ja gar keine Nazis sein, aber der Goebbels war über den Volksempfänger so überzeugend, wir hatten gar keine andere Chance, als für den Krieg zu sein.
Ralf: Und das stimmte so nicht.
Moritz: Nee. Und damit kommen wir jetzt auch wieder zurück zum Thema. Denn wobei, dass wir jetzt hier in der Diskussion über TikTok bei der Nazizeit und im Volksempfänger landen, hätte ich jetzt so eigentlich nicht erwartet.
Ralf: Das ist Godwins Law.
Moritz: Genau.
Ralf: Godwin hat mal herausgefunden, dass je länger eine Online Diskussion geht, desto höher die Wahrscheinlichkeit steigt, dass am Ende ein Vergleich mit Nazis oder mit Hitler ergibt.
Moritz: Genau. Und das ist bei einer guten Podcastfolge wahrscheinlich ganz genauso.
Ralf: Okay, dann hast du jetzt deinen Hitler-Vergleich. Zurück zum Thema Moritz.
Moritz: Genau, wollte ich ja eigentlich. Also ich stelle jetzt nicht wieder den Bezug zum Volksempfänger her, sondern hoffe einfach, dass klar ist, was ich meine.
Ralf: Dann leg mal los jetzt.
Moritz: Also alle modernen Definitionen oder Versuche, die Wirkung von Medien zu erklären, kommen eigentlich zum Ergebnis, dass du zum einen die medialen Inhalte hast, die transportiert werden, aber die Wirkung enorm davon abhängt, wie du selber aufgestellt bist. Also das heißt, wie stabil bist du emotional, wie ist deine vielleicht auch finanzielle Situation, wie bist du integriert in die Gesellschaft? Welche Vorstellungen von gut und falsch hast du? Welchen Werten und Normen folgst du? Welche religiösen Überzeugungen hast du? Und das heißt, das sind alles Punkte, die viel wichtiger sind als das, was tatsächlich auf dem Bildschirm passiert. Und von daher. Und das sind alles Sachen, wo man mit Verboten nicht viel machen kann. Also du kannst nicht verbieten, dass es bei Menschen eine rassistische Gesinnung gibt, sondern du kannst nur da ansetzen, dass vielleicht Menschen ein Angebot gemacht wird, sich von einer rassistischen Gesinnung abzuwenden, sodass dann rassistische Inhalte auf TikTok gar kein Problem mehr sind. Und das wäre auch wieder letztendlich ein Argument dafür, dass so ein Verbot für sich alleine einfach viel zu kurz greift und dass man zusätzlich das machen muss, was wir vielleicht in den letzten Jahren gemacht haben oder wahrscheinlich auch weiter machen werden. Medienkompetenz in Mittelpunkt zu stellen, zu überlegen, wie können Eltern liebevoll ihre Kinder zu begleiten im Zusammenhang mit Social Media und dass dieses Verbot für sich alleine unter Umständen eher eine Sicherheit suggeriert oder so wie so eine Lösung wirkt, die dann im Ergebnis aber nicht so viel verändert.
Ralf: Ja, Moritz, ich glaube, das können wir vielleicht einfach so stehen lassen. Ich sage mal so als kleines Plädoyer..
Moritz: Wir sind in der Zeit auch schon....
Ralf: Ja, auf jeden Fall.
Moritz: Ja, ich glaube, dass es mir sehr schwerfällt, mich jetzt zu positionieren, ob ich für oder gegen ein solches Verbot bin. Ich glaube, dass es wichtig ist, das sehr kontrovers zu diskutieren. Und wir haben das riesengroße Glück, muss man sagen, dass wir beobachten können, was in Australien passiert. Und dann noch mal zu überlegen, ob das eher eine populistische Forderung ist, solche Regulierung zu fordern, oder ob es realistisch ist, das hinzukriegen. Und gleichzeitig müssen wir nach wie vor bei den Kompetenzen, bei Eltern, bei Kindern und Jugendlichen ansetzen. Und dann kann ich auch meinen Frieden schließen. Mann, oh Mann, oh Mann.
Ralf: Sehr schön. Kommen wir zum Ende. Gibt es sonst noch was Ist die Frage, die wir hier mal stellen. Ich hätte noch was. Das wäre die JIM-Studie. Wir wollten nicht über Studien sprechen. Das vertagen wir, oder?
Moritz: Wir reden nicht über die Studie.
Ralf: Hast du noch was?
Moritz: Ich, ähm.
Ralf: Wir brauchen noch eine Folge.
Moritz: Habe ich mir schon überlegt. Ja, und zwar die Folge. Zum weiter hören würde ich gerne "Kein Handy ist auch keine Lösung" vorschlagen. Ich weiß nicht genau, wann das war.
Ralf: Ich guck mal auf meinen Zettel.
Moritz: Und ich habe überlegt. Leider haben wir da keine Folge zu. Wir haben den Begriff Sextortion schon zweimal verwendet und auch Tobias hat ihn angesprochen und das würde jetzt zu weit führen, das ganze Fass aufzumachen. Aber dazu sollten wir auf jeden Fall im neuen Jahr eine Folge aufnehmen. In der nächsten Folge würde ich gerne so einen kleinen Jahresrückblick machen, so irgendwie. Was waren so deine Highlights 2024 im Zusammenhang mit Social Media und Medienerziehung?
Ralf: Kein Handy ist auch keine Lösung. Vom 26. 08. 2024 wäre das. Moritz, das war eine sehr intensive Folge und ich bin sehr gespannt, ob wir bei 30 Minuten bleiben. Wahrscheinlich nicht.
Moritz: Ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber gefühlt.
Ralf: Sonst wären es 45 Minuten. Wäre ja auch nicht so schlimm. Das dürfen unsere Hörerinnen und Hörer auch mal aushalten. Wir bedanken uns auf jeden Fall fürs Zuhören und freuen uns wie immer über Rückmeldungen an podcast@smiley-ev.de oder per Direktnachricht bei Insta oder Facebook.
Moritz: Von daher sagen wir Tschüss.
Ralf: Bis zum nächsten Mal.
Moritz: Ich finde das total schwierig. Ich kann so nachvollziehen, dass viele Menschen hoffen, dass ein solches Verbot kommt und was verändert. Und. Auf der anderen Seite bin ich da.
Ralf: Ich glaube nicht, dass es funktioniert.
Moritz: Ich bin pessimistisch, muss ich sagen. Nicht unbedingt gegen Regulierung. Ich bin einfach pessimistisch.
Ralf: Und ich glaube, dass unsere Arbeit weiter wichtig ist..
Moritz: Ich muss meine Nase putzen.
Ralf: Und ich muss was Essen.
Moritz: Tschüss.
Ralf: Ciao.
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